Leseprobe „Im Schatten der Lichtblicke“
Die nächsten Tage vergingen wie im Fluge, und sie steuerten bereits New Orleans an. Laura nutzte den Seetag und schwelgte in den Erinnerungen an die Bahamas. Sie schätzte sich sehr glücklich in Christian so einen verständnisvollen, respektvollen Mann gefunden zu haben. Er nutzte jede Gelegenheit, ihr seine Liebe zu zeigen.
Am Abend vor ihrer Ankunft in New Orleans aßen sie im italienischen Restaurant. Christian beobachtete Laura überglücklich und stellte fest: „Du machst mich zum glücklichsten Mann. Und ich freue mich vor allem, dass du so gelöst, entspannt und zufrieden wirkst.“ „Vor Monaten hätte ich nie geglaubt, dass ich noch mal Freude und Glück erleben würde. Das habe ich dir zu verdanken! Mit dir hätte ich keinen besseren Partner an meiner Seite finden können. Ich habe an dir viel schätzen und lieben gelernt: die Hingabe für deinen Beruf, deine Hilfsbereitschaft, deinen Respekt für deine Mitmenschen und vor allem deine Ehrlichkeit.“ Christian schluckte und räusperte sich verlegen: „Laura, ich möchte, dass du weißt, jede meiner Handlungen oder alles, was ich entscheide, soll niemals meine Liebsten verletzen. Im Gegenteil. Alles hat einen Grund.“ Laura sah ihn fragend an: „Wie meinst du das?“ Christian beugte sich vor, küsste sie kurz zärtlich und antwortete ernst: „Genauso, wie ich es gesagt habe.“
Laura, Christian und Paul genossen am nächsten Morgen bei einer Tasse Kaffee die Einfahrt nach New Orleans durch den Mississippi. Gegen Mittag kamen sie dann schließlich an. Das Schiff lag an einem Hafenterminal, das mit einer Mall verbunden war. Laura und Christian machten sie sich fertig für das Konzert. Die Busse standen vor dem Ausgang der Mall bereit. Als Laura und Christian vor der Konzerthalle ausgestiegen waren, begutachteten sie diese und waren überrascht, dass sie einer Baracke ähnlich kam, was tatsächlich den Reiz des Gebäudes ausmachte. Sie betraten die Halle und kamen an zahlreichen Bildern und Fotos vorbei, die über die Jahre die zahlreichen Konzerte zeigten. Schließlich erreichten sie den Konzertsaal. Vor der Bühne waren zahlreiche rustikale Holzbänke aufgestellt. Laura und Christian nahmen Platz. Laura lehnte ihren Kopf an Christians Schulter, und sie lauschten der herausragenden Jazzmusik.
Als das Konzert zu Ende war, gab es noch mehrere Zugaben, und schließlich steuerten sie den Ausgang an. Während sie auf den Bus warteten, schauten sie sich die Kunstwerke einiger Künstler an, die sich vor der „Preservation Hall“ niedergelassen hatten, in der Hoffnung, zu später Stunde noch Geschäfte machen zu können. Lauras Blick fiel auf bunt bemalte Keramikteller. Christian stand neben ihr und hatte den Arm um sie gelegt. „Jeder Teller kostet fünf Dollar“, hörten sie eine tiefe, ernste Männerstimme sagen. Laura zuckte zusammen. Sie war so auf die Teller fixiert gewesen, dass die Stimme sie tatsächlich zutiefst erschrocken hatte. Sie drehte sich zu dem Mann, der ganz in Schwarz gekleidet war. Er trug einen Hut, der bis zu seinen Augen reichte. Sein Blick war ernst und zeigte keinerlei Freundlichkeit. Er reichte Laura einen Teller, und an seinem Handgelenk kam die Tätowierung einer Klapperschlange zum Vorschein. Laura wandte den Blick ab, schloss die Augen und setzte eine Atemübung ein, die Paul mit ihr mehrmals durchgespielt hatte. Der Bus fuhr vor, und Christian zog Laura sanft weg, während er sich von dem Verkäufer dankend verabschiedete.
Laura atmete erleichtert auf. „Du hast die Situation eben sehr gut gemeistert, Schatz.“ „Hast du die Tätowierung gesehen?“, fragte Laura, und sie ließ einen Seufzer los. Christian nickte und zog Laura an sich: „Ja. Und du kannst sehr stolz auf dich sein. Du hast große Stärke gezeigt.“ „Dieser Mann wird mir so schnell nicht aus dem Kopf gehen.“ „Wir sind gleich an Bord.“
Am nächsten Morgen wachte Laura glücklich auf. Christian stand bereits in seiner Arztuniform vor ihr. „Guten Morgen, mein Schatz!“, begrüßte er sie.
„Guten Morgen!“ „Ich bin Paul sehr dankbar, dass er mit dir ein bisschen New Orleans erkundet. Es tut mir sehr leid, dass ich heute den ganzen Tag Bereitschaft habe.“ „Paul und ich werden bestimmt einen schönen Tag haben.“ „Dann bis heute Abend“, er beugte sich vor und küsste sie. „Ich liebe dich!“ „Ich dich auch!“
Laura und Paul verließen das Schiff. Paul schaute auf den Stadtplan, und er führte Laura perfekt durch New Orleans. Laura fand ein quirliges, buntes und musikalisches New Orleans im French Quarter vor. Die kreolischen Stadthäuser waren überaus schön, imposant und magisch. Überall waren Straßenkünstler zu sehen, die teilweise mitten auf der Straße Musik machten oder auf einer Schreibmaschine ihre Gedichte und Geschichten abtippten. Maler hatten ihre Staffeleien aufgebaut und erfreuten sich an den Touristen, die für sie posierten.
Während Laura an Pauls Seite die Straßen entlangging, fühlte sie plötzlich eine innere Unruhe. Paul, der dies bemerkt hatte, fragte sie: „Laura, ist alles in Ordnung?“ „Ich weiß es nicht. Irgendwie fühle ich mich unwohl. Christian und ich sind gestern einem merkwürdigen Mann begegnet. Er stand vor der ‚Preservation Hall‘ und hat dort, zusammen mit anderen Künstlern, seine Kunstwerke verkauft.“ „Und was war an ihm so merkwürdig?“
„Er war schwarz gekleidet, und er trug einen Hut, der ihm bis zu seinen Augen reichte. Seine Stimme war tief und unfreundlich. Und das Schlimmste: Er hatte die Tätowierung einer Klapperschlange am Handgelenk.“ „Und wie hast du reagiert?“, fragte Paul besorgt. „Dank deiner Atemübung habe ich die Ruhe bewahrt“, antwortete Laura gefasst und merkte, wie ihr bei der Erinnerung ein Schauer über den Rücken lief. „Gut. Das ist sehr gut“, bemerkte Paul. „Trotzdem war er überaus grimmig!“ „Wir dürfen nicht vergessen, dass die meisten, die ihre Werke auf der Straße verkaufen, wirklich darauf angewiesen sind. Sicherlich ist der Tag für den Mann gestern nicht so gut gelaufen. Sollen wir zurück zum Schiff gehen?“ „Nein, alles gut.“ „Ich schlage vor, dass wir noch den Jackson Square besichtigen. Dort gibt es wunderschöne Häuser, eine Parkanlage und die ‚St.-Louis-Kathedrale‘. Und er liegt auf dem Weg zurück zum Schiff.“ „Das klingt gut.“
Laura und Paul steuerten den Park an. Es war eine große, wunderschön angelegte Parkanlage. Unter anderem waren dort täglich Kunstausstellungen von unterschiedlichen Künstlern zu sehen. Laura betrachtete die Bilder sowie Malereien auf den Keramiktellern, die am Zaun des Parkes angebracht waren. Sie erkannte den gleichen Keramikteller des Vorabends vor der Konzerthalle. Ihr Blick schweifte von einem bunten Bild zum nächsten. Bis sie einen Keramikteller erblickte, der sie paralysierte. Laura spürte, wie ihr die Luft wegblieb. Sie wollte weglaufen und konnte nicht. Sie stand wie gelähmt vor diesem Teller und versuchte dem Blick des Totenkopfes entgegenzuwirken. Es war ein bunter, mexikanischer Totenkopf.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte eine tiefe, männliche Stimme. Die Stimme kam ihr bekannt vor, und sie erkannte sie vom Abend zuvor. Laura drehte sich abrupt um und schaute in ein männliches, vernarbtes Gesicht, was jetzt bei Tageslicht erkennbar war. Der Mann lächelte sie an, und ein funkelnder Eckzahn kam zum Vorschein. Lauras Herz raste. „Sie kommen mir bekannt vor. Haben wir uns schon mal irgendwo gesehen?“ Er überlegte kurz und fuhr fort: „Jetzt kann ich mich erinnern. Wir haben uns gestern Abend gesehen, vor der Konzerthalle“, sagte er. Laura stand noch immer wie angewurzelt da. Sie betrachtete sein Gesicht eindringlich. In dem Moment ergriff sie die Panik, und sie rannte los. Paul folgte ihr sofort, und nach einigen Metern holte er Laura ein. Sie hatten nicht bemerkt, dass der Unbekannte ihnen unauffällig gefolgt war und sie aus der Ferne beobachtete. Laura zitterte am ganzen Körper.
Paul hielt sie fest im Arm und versuchte sie zu beruhigen, während sie unter Schluchzen stammelte: „Das ist er. Das war der Mann. Das war der Entführer, mein Vergewaltiger.“ Schließlich brach Laura zusammen.